29.06.19

Was für ein Vertrauen - Erfahrungen auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dortmund

„Was für ein Vertrauen …“, das Kirchentagsmotto nahm ich wörtlich und wagte es, vom 19. bis 23. Juni nach Dortmund zu reisen. Mein Vertrauen wurde belohnt. Ich hatte eine liebevolle Gastgeberfamilie, die mich „adoptierte“ und
überall dorthin mitnahm, was für mich sonst schwierig zu erreichen gewesen wäre.
Der Eröffnungsgottesdienst, inmitten Dortmunds größter Kreuzung in der Innenstadt, auf dem Boden sitzend, unter sengender Sonne, der Musik und der Worte lauschend, war beeindruckend.
Am Donnerstag suchte ich fast alle Kirchen der Innenstadt auf, erlebte wunderschöne Gottesdienste und eine Auslegung der Hiob-Geschichte. Die Petri-Kirche mitten in der Fußgängerzone war bis auf den kostbaren Altar leergeräumt und in einen Tannenwald mit Moos, Baumstämmen und einem Waldboden verwandelt. Es duftete wunderbar und es herrschte eine heimelige Atmosphäre. Dort verweilte ich sehr lange und kam am Samstag nochmals zurück. Barfuß konnte man Wald und Kirche erleben. Der Gottesdienst dort war eine Lobpreisung an Gottes Schöpfung.
Am Freitag auf dem Messegelände erlebte ich den Kirchentag von einer ganz anderen Seite. Alle wollten etwas verkaufen, was nicht immer mit dem Sinn des Kirchentages zu tun hatte. Die Vorträge in den Messehallen waren so stark besucht, dass ich mir keinen Platz erobern konnte, so blieb mir nur noch der heiße Außenbereich. Hier informierten unter anderem Behindertenverbände, Diakonie, Suchtkrankenhilfe, Frauen- und Männer-Initiativen sowie Schwulen und Lesben und Atheisten-Verbände.
Es gab das rote Sofa, auf dem Prominente wie Margot Käßmann, Heinrich Bedford-Strohm, Kardinal Marx, Pater Anselm, Uschi Glas und viele, viele mehr Platz nahmen, um Rede und Antwort zu stehen. Überall Musik – so verschieden, wie sie nur sein kann.
Als ich abends verschwitzt und ausgelaugt wieder bei meinen Gastgebern ankam, entführten mich diese zu dem nächsten Gottesdienst, der in ihrer Kirchengemeinde stattfand. Wieder eine alte Kirche, gut renoviert und der Innenbereich einfach weiß gehalten mit wunderschönen Kirchenfenstern. Dort erlebte ich ein Abendmahl anderer Art. Es wurde keine Hostien und Kelche
gereicht, sondern man erhielt eine dicke „Kniffte“ (Schnitte) dunkles Brot und eine Weintraube. Bei der Anzahl der Teilnehmer wäre es auch mit Wein oder Traubensaft nicht anders möglich gewesen. Die Dortmunder zeigten sich sehr gastfreundlich und hilfsbereit.
Der Abschlussgottesdienst im größten Fußballstadion Deutschlands war für mich enttäuschend. Das Stadion war nur zu zwei Dritteln gefüllt, aber es gab keine Behinderten- oder altersgerechte Plätze. Ich musste über für mich viel zu hohe Stufen bis unters Dach steigen. Oben angekommen hatte ich zwar einen großartigen Überblick über das Stadion, verstand aber kein Wort von der angeblich so großartigen Predigt.
Der Kirchentag wird gern als Schmuseveranstaltung abgestempelt. Ja, die Menschen sind dort nett zueinander, freuen sich über Begegnungen, singen christliche Lieder und hören auf ihren Papphockern Bibelarbeiten zu. Aber genau das stärkt sie, um sich einzumischen in unserem Land. Und das ist gut so. Denn Christen und politisches Engagement gehören zusammen. Christ sein heißt wach sein, die biblischen Maßstäbe für Frieden und Gerechtigkeit in die Debatte einbringen. Es war ermutigend, als Bundespräsident Steinmeier den Teilnehmern zurief: „Mischt euch bitte ein!“. Auf Kirchentagen wird nicht gepöbelt und per Twitter beleidigt, sondern Menschen hören einander zu! Um Vertrauen ging es beim Kirchentag in Dortmund. Solches Vertrauen brauchen wir in unserem Land. Wir brauchen Räume des Vertrauens, in denen wir auch unterschiedliche Positionen in aller Ruhe, ohne Geschrei und Abwertung gegenseitig anhören. Deshalb bin ich froh, dass ich beim Dortmunder Kirchentag war.
Margret Müller